MINDFUL MONDAY (111) von Reto Weishaupt

In der Meditation ist es hilfreich, die klassischen 5 Hindernisse zu kennen und zu wissen, wie wir konstruktiv mit ihnen umgehen können. Dies stärkt unsere Meditations- und Achtsamkeitspraxis. Diese Hindernisse treten in der Meditation wie auch im täglichen Leben auf. Es geht nicht darum, sie wegzukriegen oder zu bekämpfen, sondern sie zu erkennen und einen heilsamen Umgang zu üben.

 

Herkunft und Ursprung der 5 Hindernisse in der Meditation

Die fünf Hindernisse in der Meditation – auch die fünf Hemmnisse gennant – haben ihren Ursprung in den Lehrreden Buddhas vor ca. 2’500 Jahren. Das Satipaṭṭhāna Sutta, die Grundlage der zeitgenössischen Vipassana- resp. Achtsamkeitsmeditation und eine der am meisten studierten Lehrreden des Buddha im Westen, vermittelt Achtsamkeit anhand von mindestens vier Beobachtungsbereichen, wobei die 5 Hemmnisse Teil der Geistobjektbetrachtung sind:

    1. Körperbetrachtung
    2. Gefühlsbetrachtung
    3. Geistbetrachtung
    4. Geistobjektbetrachtung

– die 5 Hemmnisse
– die 5 Aggregate des Ergreifens
– die 6 Sinnesgrundlagen
– die 7 Faktoren zur Erleuchtung
– die 4 edlen Wahrheiten

 

„Hindernisse und Schwierigkeiten sind Stufen, auf denen wir in die Höhe steigen.“
– Friedrich Nietzsche

 

Die 5 Hindernisse in der Meditation

Es ist wichtig, die Hemmnisse zu erkennen und ihnen – so gut wie möglich – gelassen und freundlich zu begegnen. Die 5 klassischen Hindernisse in der Meditation sind gemäss Buddha die folgenden Zustände:

    1. Verlangen, Begehren, Gier, Erwartungen, Wünsche, Hoffnungen: In der Meditationspraxis zeigt sich dieser begehrende Geist, indem wir das Begehren haben nach angenehmen Gefühlen und Empfindungen aller Art. Dieses sinnliche Begehren lässt uns nicht zur Ruhe kommen. Es verhindert, dass wir uns im gegenwärtigen Augenblick wirklich niederlassen können.
    2. Aversion, Abneigung, Ablehnung, Widerstand: Dieses Hindernis ist das Gegenteil der Begierde und viel leichter zu erkennen. Es sind alle Formen des Nicht-Haben-Wollens, Verurteilens, Irritation, Langeweile, Unzufriedenheit, Übelwollen, Ärger, Hass, Wut, Gewalt, Angst. Auch diese Geisteszustände lassen uns nicht zur Ruhe kommen. Sie erscheinen uns teilweise als Lösung für ein Problem, was jedoch eine Illusion ist.
    3. Trägheit, Schläfrigkeit, Müdigkeit, Mattheit, Lethargie: Es ist nicht ungewöhnlich, dass wir müde werden beim Meditieren. Die Umgebung ist wahrscheinlich relativ still, viele äussere Reize fallen weg und wir bewegen uns körperlich wenig. Diese schläfrigen, matten oder trägen Zustände sind genauso geeignet zum Praktizieren wie die anderen.
    4. Rastlosigkeit, Ruhelosigkeit, Unruhe, Nervosität, Sorge: Wir sind gut darin, uns Sorgen zu machen über etwas, das bereits vorbei ist oder etwas, das noch gar nicht passiert ist. Der Geist dreht sich scheinbar rastlos immer wieder um irgendwelche sorgenvollen Geschichten („Monkey mind“). Und wie alle Erfahrungen, kommen und gehen auch sie wieder.
    5. Zweifel, Skepsis, Bedenken: Man sagt, dies sei das schwierigste Hindernis. Denn der Zweifel kann sich in wahnsinnig intelligente Gedanken kleiden. Wir zweifeln an uns selbst, am Lehrer, an Lehrinhalten oder an der Meditation und ihren Wirkungen. Wenn wir bei der Gehmeditation die Szenerie betrachten, sieht es ja auf den ersten Blick schon ein bisschen komisch aus.

 

„Auch eine schwere Tür hat nur einen kleinen Schlüssel nötig.“
– Charles Dickens

 

Buddha erwähnte in einer Rede gemäss dem Palikanon für jedes dieser fünf Hemmnisse ein Gleichnis mit Wasser in unterschiedlichen Zuständen:

    1. Wasser, dem Farben beigemischt sind: Zu einer Zeit, wenn wir in einem von Begierde gefesseltem Geist verweilen und die Sinneslust nicht überwinden, dann ist es schwer wirklichkeitsgemäss unser eigenes Heil oder das Heil anderer zu erkennen. Es ist, wie wenn sich da in einem Topfe Wasser befindet, versetzt mit roter, gelber, blauer oder brauner Farbe. Wenn nun ein Mensch mit gesunden Augen darin sein eigenes Spiegelbild zu sehen wünscht, so könnte er es nicht der Wirklichkeit entsprechend erkennen und wahrnehmen.
    2. Wasser, das kocht: Zu einer Zeit, wenn wir in einem von Hass gefesseltem Geist verweilen und den Hass nicht aufheben können, dann ist es schwer wirklichkeitsgemäss unser eigenes Wohl oder das Wohl anderer zu erkennen. Es ist, wie wenn in einem über dem Feuer erhitzten Topfe das Wasser aufkocht und siedet. Wenn nun ein Mensch mit gesunden Augen darin sein eigenes Spiegelbild zu sehen wünscht, so könnte er es nicht der Wirklichkeit entsprechend erkennen und wahrnehmen.
    3. Wasser, das moosbedeckt ist: Zu einer Zeit, wenn wir in einem von Müdigkeit und Trägheit gequältem Geist verweilen und keinen Weg finden, dies zu ändern, dann wird es uns nicht möglich sein, wirklichkeitsgemäss unser eigenes Glück oder das gemeinsame Glück aller zu erkennen. Es ist, wie wenn da in einem Topfe befindliches Wasser mit Moos und Wasserpflanzen völlig bedeckt ist. Wenn nun ein Mensch mit gesunden Augen darin sein Spiegelbild zu sehen wünscht, so könnte er es nicht der Wirklichkeit entsprechend erkennen und wahrnehmen.
    4. Wasser, das vom Winde gepeitscht ist: Zu einer Zeit, wenn wir in einem aufgeregten und von Unruhe gequältem Geist verweilen und nicht zur Ruhe kommen können, dann fällt es uns schwer wirklichkeitsgemäss das Gute für uns selbst und das Gute für alle anderen zu erkennen. Es ist, wie wenn sich in einem Topfe vom Winde bewegtes, unstetes, unruhig aufwellendes Wasser befindet. Wenn nun ein Mensch mit gesunden Augen darin sein eigenes Spiegelbild zu sehen wünscht, so könnte er es nicht der Wirklichkeit entsprechend erkennen und wahrnehmen.
    5. Wasser, das schlammig und trüb ist: Zu einer Zeit, wenn wir in einem von Zweifel zerrissenen Geist verweilen, unfähig den Zweifel zu überwinden, dann werden wir Probleme haben wirklichkeitsgemäss das Heilsame für uns selbst oder das Heilsame für alle anderen zu erkennen. Es ist, wie wenn man einen Topf mit trübem, schlammigem Wasser ins Dunkle stellt. Wenn nun ein Mensch mit gesunden Augen darin sein eigenes Spiegelbild zu sehen wünscht, so könnte er es nicht der Wirklichkeit entsprechend erkennen und wahrnehmen.

Wasser in diesen fünf Zuständen gibt unser Spiegelbild nicht wider und wir können so auch nicht durch das Wasser hindurch auf den Grund sehen. Wir können also, wenn wir von den Hemmnissen zu sehr eingenommen sind, nur schwer Klarheit und (Selbst)Erkenntnis erfahren.

 

„Wenn wir der Welt mit Anerkennung, Akzeptanz, Erforschung und Nicht-Identifikation begegnen, entdecken wir, dass, wo immer wir sind, Freiheit möglich ist, so wie der Regen auf alle Dinge gleichermassen fällt und sie nährt.“
– Jack Kornfield

 

Wie mit den 5 Hemmnissen umgehen?

Die Hindernisse können zu Leid führen. Das Leid kann vermindert werden, wenn du die Energie des jeweiligen Hindernisses wahrnimmst, ihr annehmend begegnest, sie kennenlernst und aus der Identifikation damit aussteigst – das Begehren, die Aversion, die Unruhe, die Schläfrigkeit, den Zweifel loslassen resp. seinlassen.

Mir hilft das Akronym R.A.I.N. von Michele McDonald als Reminder, wie ich achtsam mit diesen Hindernissen (und anderen schwierigen Gefühlen) umgehen kann. Es sind folgende 4 Schritte:

    • R – Recognize – (An)Erkennen: Was passiert gerade? Bewusstwerden, was jetzt gerade da ist: Körperempfindungen, Gefühle, Gedanken. Eventuell mental benennen: „da ist Spannung im Knie, das ist Ungeduld, da ist urteilen“. Mit der Anerkennung trittst du aus der Verleugnung heraus und öffnest dich für die Realität.
    • A – Allow/Accept – Zulassen/Akzeptieren: Alle Empfindungen zulassen, so wie sie gerade sind. Dem Leben erlauben, genau so zu sein wie es ist. Dich entspannen und für die (angenehmen und unangenehmen) Tatsachen öffnen, die vor dir liegen. Den Zustand nicht verurteilen, wegschieben oder die Idee haben, es sollte anders sein, sondern freundlich begegnen und so gut es geht damit sein.
    • I – Investigate/Interest – Erforschen/Interesse zeigen: Was geschieht in mir? Die innere Erfahrung mit einer liebevollen und interessierten Aufmerksamkeit untersuchen. Was spüre ich gerade in meinen Körper? Welche Gefühle sind mit dieser Schwierigkeit verbunden? Wie begegne ich der Körperempfindung oder dem Gefühl gerade, mit Achtsamkeit? Welche Gedanken und Vorurteile sind mit dieser Schwierigkeit verbunden? Wie bin ich in Kontakt, stosse ich die Schwierigkeit weg? Ist die Erfahrung tatsächlich so solid und fest, wie sie erscheint?
    • N – Non-Identifiy – Nicht-identifizieren: Nicht-Identifikation meint das Bewusstsein, dass du nicht deine Gedanken und Gefühle bist. Nicht „Ich bin wütend.“ sondern „Aha, so fühlt sich Wut an.“ Dieses Bewusstsein bringt Ruhe in den Sturm der Emotionen und hilft dir dich daran zu erinnern, dass da auch noch andere Anteile in dir sind und alles ein Kommen und Gehen ist. Im natürlichen Gewahrsein verweilen ohne dich mit der Erfahrung zu identifizieren als ich, mich und mein.

Der zweite Schritt „Allow – Zulassen“ hält besondere Herausforderungen bereit. Denn Michele McDonald wie auch Tara Brach schreiben dazu u.a. folgendes, das mir in diesem Zusammenhang für unsere Praxis sehr wichtig erscheint:

Michele McDonald: „Wenn Sie sich in Akzeptanz üben, kann es hilfreich sein, sich Sätze zu sagen wie „Ah, auch das“, „erlauben“ oder „sein lassen“. (…) Achten Sie auf subtile oder unbewusste Formen des Widerstands gegen Ihre Gefühle, z. B. den Versuch, sie zu „akzeptieren“, damit sie verschwinden. Achten Sie darauf, ob Sie wirklich zulassen können, dass das, was da ist, auch da ist, und lassen Sie die Emotion(en) ihren Lauf nehmen und auf natürliche Weise verschwinden.“

Tara Brach: „Gelegentlich erzeugt schon die erste Geste des Zulassens, indem wir einfach Begriffe wie „ja“ oder „ich bin einverstanden“ flüstern, einen Raum, der die scharfen Kanten deines Schmerzes mildert. Dein ganzes Sein ist nicht mehr so im Widerstand versammelt. Biete den Satz milde und geduldig an und mit der Zeit wird sich deine Empfänglichkeit vertiefen. Deine Abwehrmechanismen entspannen sich und du fühlst vielleicht ein körperliches Empfinden von Hingabe oder eine Öffnung für die Wellen der Erfahrung. Manchmal bringt jedoch schon das Erwähnen des Zulassens einen heftigen Widerstand hervor. (…) In diesen Momenten ist es wichtig, deutlich zu machen, dass wir nur mit der Erfahrung einverstanden sind – in unserem Körper, Herzen und Geist – im gegenwärtigen Moment. Wir werden nicht dazu angehalten, die Situation selbst oder das Verhalten einer anderen Person zu akzeptieren, sondern nur die gefühlte Erfahrung, hier und jetzt. Wenn ein solcher Widerstand auftaucht, ist es sogar unser erster Schritt, die Erfahrung des Widerstands zu akzeptieren. Wir erkennen den Ekel und nehmen ihn an, und auch die Spannung im Körper, die vorwurfsvollen Gedanken, die Abneigung. Wie ich es oft lehre: Du sagst Ja zu deinem Nein!“

 

Zur weiterführenden Lektüre kann ich einen Artikel von Jack Kornfield empfehlen, der ebenfalls über RAIN geschrieben hat und für mein Empfinden sehr stimmige und klare Worte gefunden hat, u.a. das folgende Zitat.

 

„Der Buddhismus nennt Nicht-Identifikation den Ort des Erwachens,
das Ende des Anhaftens, den wahren Frieden, das Nirwana.“

– Jack Kornfield

 

Zudem können Roland und ich dir den Text von Fred von Allmen sehr ans Herz legen. Er beschreibt darin u.a. den generellen Umgang mit den Hindernissen sehr treffend:

„Die Hemmnisse entstehen entsprechend ihren Ursachen und Bedingungen. Sie ziehen vorbei und vergehen, wenn‘s an der Zeit ist. Wir bleiben achtsam, gewahr und gegenwärtig, unerschüttert und frei. Nichts, dass wir dafür oder dagegen tun müssten. “Easy come – easy go!“. Wir sehen klar und deutlich, dass diese Hemmnisse (diese Zustände) nicht uns gehören, nicht ‘ich‘ sind. Und wenn wir – aus der Stille – noch tiefer hinfühlen, merken wir vielleicht gar, dass da überhaupt niemand ist, der ihr Besitzer, ihre Besitzerin, sein könnte. Und wir erkennen die innere Freiheit, die immer schon hier ist. (…)
Es hilft auch, darüber nachzudenken, dass das, was wir haben wollen, was wir uns wünschen, vergänglich ist und letztlich auch, dass sogar die mögliche Befriedigung selbst oft nicht sehr lange anhält. Je klarer wir die Vergänglichkeit sehen, desto leichter fällt es uns anzunehmen und loszulassen. Besonders hilfreich ist es, immer und immer wieder zu betrachten und zu fühlen, wie es ist, wenn Verlangen da ist – und wenn kein Verlangen da ist. Der Zustand ohne Verlangen ist so viel angenehmer und unbeschwerter. Es wird auch sehr bald einmal klar, dass das, was wir uns so sehr wünschen, letztlich ganz einfach der Zustand ist, in dem Verlangen abwesend ist, nämlich: Verlangenslosigkeit, Zufriedenheit, Erleichterung, Erlösung, Friede. Interessant, nicht? Anstatt den ganzen Trip durchzuspielen, bis wir endlich haben was wir möchten, können wir manchmal einfach loslassen! Verlangen schwindet dann – entsprechend seiner vergänglichen Natur – letztlich ganz von selbst. Und wir sind erlöst. Es braucht einfach Übung. Viel Übung.
Oskar Wilde gestand: “Ich kann allem widerstehen – ausser der Versuchung.“ Wenn Abneigung oder Hass, Ärger, Wut, Widerstand uns überkommen, ist es sehr hilfreich und wichtig, sich wenigstens nicht auch noch dafür zu verurteilen. Metta, liebevolle Güte – am besten für sich selbst – ist hier sehr hilfreich, falls wir überhaupt Raum dafür finden. Oder: wenn wir einfach mit etwas achtsamem Gewahrsein und einer nicht allzu verurteilenden, sondern sanften Haltung dabei sein können, ist das auch schon sehr gut. Auch Ablehnung kommt und geht ganz von selbst!“

 

Anstatt gegen unangenehme Empfindungen und Gefühle anzukämpfen kannst du versuchen dich mutig und vertrauensvoll für die Erfahrung zu öffnen. Es ist hilfreich in diesen Momenten freundlich mit dir zu sein und innerlich bewusst anzuerkennen, dass es grad schwierig ist.

Mögest du die Hindernisse erkennen und einen heilsamen Umgang finden.

Reto

 

 

Das Titelbild ist von Gemma Correll.

 


Reto Weishaupt
ist Meditationslehrer und Achtsamkeitscoach bei MINDFULMIND. Meditation ist für ihn ein starkes Instrument, das er zur Geistes- und Herzensschulung gerne weiter gibt – undogmatisch, säkular und frei von Ideologie. „It’s all about cultivating mind and heart.“

 

 

Abonniere hier unseren Newsletter
und du erhältst unregelmässig Inputs rund um das Thema Meditation und Achtsamkeit.