Achtsamkeit und Klimakrise
MINDFUL MONDAY (99) von Reto Weishaupt
Ich glaube, Achtsamkeit kann dazu beitragen die Klimakrise zu bewältigen. Dieses Bild ist eine Visualisierung der Temperaturveränderungen in der Schweiz von 1864 bis 2018. Jeder Streifen repräsentiert die Durchschnittstemperatur eines Jahres. Dunkelblau kühler, dunkelrot wärmer als der Durchschnitt.
Diese «Warming Stripes» gingen übrigens schon vor einem Jahr viral. Sie stammen vom Klimaforscher Ed Hawkins, der sie für alle Nationen der Welt erstellt und veröffentlich hat. Die globalen «Warming Stripes» zeigen die bedenkenswerte Entwicklung des Klimawandels noch eindrücklicher. Wie viele andere denke ich, dass es angebracht ist das Wort Klimawandel zu streichen und stattdessen von Klimakrise zu sprechen.
Der Zusammenhang von Achtsamkeit und Klimakrise
Was hat nun Achtsamkeit, bewusstes nicht wertendes Gegenwärtig-Sein und sich nicht-identifizieren mit Objekten (z.B. Gedanken), mit der Klimakrise resp. mit deren Lösung zu tun?
Sehr viel, wie mir scheint. Es geht bei beidem darum, in Kontakt zu sein mit sich und der Natur sowie der Realität. In Kontakt sein mit dem, was gerade da ist. Auch – oder gerade – wenn es sich nicht so toll anfühlt. In echtem Kontakt sein, absichtsvoll erleben, aufmerksam erfahren. Es geht um Bewusstsein resp. Bewusstwerdung. Sich bewusst sein, dass alles miteinander verbunden ist und was mein Verhalten bewirkt. Die Haltung von Sorge tragen ist eng damit verknüpft, wie Niklaus Brantschen, Zen-Meister und katholischer Ordensmann, sehr treffend beschreibt:
„So erfährt man die Welt als ein Stück von einem selbst.
Eine Welt, die ich selber bin,
kann mir nicht gleichgültig sein,
ich möchte Sorge für sie tragen.“
– Niklaus Brantschen
Sich bewusst werden, wie geht es mir? Denn nur wenn ich weiss, wie es mir geht, kann ich wissen was ich brauche – und v.a. auch, was ich nicht brauche. Weglassen, Loslassen, Seinlassen ist aus meiner Erfahrung sehr hilfreich und förderlich in vielen Situationen. Häufig sehen wir diese Möglichkeit nicht, wir sind geprägt von Haben-Wollen, Anhaften und Anhäufen. Wir suchen das Glück häufig im Aussen und im Materiellen anstatt im Innen, in der immateriellen Erfahrung und im inneren Reichtum. Letzterer ist nicht nur aus klimatechnischer Sicht vorteilhafter und nachhaltiger.
Es geht immer wieder darum, in Frieden miteinander zu leben, gesund zu wachsen und unsere Lebensgrundlage zu pflegen. Es geht darum, eine freundliche und wohlwollende Haltung einzunehmen, mir selber gegenüber und gegenüber meiner Umwelt inkl. Mutter Erde. Es geht um Empathie und Mitgefühl. Die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen und die Anteilnahme am Leid, an der Not, anderer. Und es geht um einen heilvollen Umgang mit Gedanken und Gefühlen – unser inneres Klima – sowie folglich um alltägliches Handeln mit einer Sicht für das grosse Ganze.
Ich behaupte, je achtsamer wir sind, desto mehr Sorge tragen wir automatisch zu unserem Ökosystem. Unser entsprechendes Handeln Tag für Tag lindert folglich die Klimakrise oder heizt sie wenigstens nicht noch stärker an.
Nachtrag 12.02.2021: Meine Behauptung wird in Ansätzen von einer aktuellen Studie (Dez 2020) untermauert: Practice Matters: Pro-environmental Motivations and Diet-Related Impact Vary With Meditation Experience.
„Je mehr wir von der Empathie getrennt sind,
desto weniger ist es möglich die Bedürfnisse der Anderen
und der uns umgebenden Welt wahrzunehmen
und angemessen darauf zu reagieren.“
– Arno Gruen
Vom Ego-System zum Öko-System
Ich weiss,
es ist nicht sexy,
es fühlt sich nicht so toll an
darüber nachzudenken oder darüber zu sprechen.
Aber eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema und Verhaltensänderungen sind nötig. Die Klimakrise droht ausser Kontrolle zu geraten – hier und jetzt, nicht erst in ein paar Jahrzehnten. Ich habe diesen fundiert recherchierten Artikel nun drei Mal gelesen und mache mir Sorgen – nicht um Mutter Erde, sondern um dessen Bewohner. Das Problem ist nicht einfach unschön oder weit weit weg. Es ist da und wird uns alle betreffen, wenn in anderen Gebieten der Welt die Lebensgrundlagen dahinschmelzen, vertrocknen oder überflutet werden.
Die Erde ist unsere Mutter, wir sind aus ihr hervorgegangen.
Wir haben dann den Wunsch, sie wertzuschätzen, zu schützen und zu lieben.
– David R. Loy
Jeder einzelne – du und ich – kann etwas zur Besserung beitragen. Wir müssen nicht die Welt retten, sondern einfach nur bei uns selbst anfangen. Achtsamer Konsum oder freudvoller Verzicht bietet uns die Möglichkeit zu lernen mit unserem Verlangen und Begehren heilvoll, gelassen und freundlich umzugehen. Das kann sich gut anfühlen. Ich möchte in 30 Jahren nicht zurückschauen und zu mir sagen „Hätte ich doch“. Jeder einzelne ist Teil der Lösung. Der Weg der kleinen Schritte. Inspirationen zum Ausprobieren:
- Weniger Flugzeug. Zug.
- Weniger Auto. Velo.
- Weniger Fleisch. Pflanzen.
- Weniger Zeug. Zeit.
- Weniger Anhaften. Loslassen.
- Weniger Haben-Wollen. Sein.
Ich bin dabei. Wer noch?
Bitte teilen. Herzlichen Dank. ♥︎
♡ Reto
P.S. auf die Aufforstung als Lösung können wir uns nicht verlassen, obwohl sich MINDFULMIND auch in diesem Bereich seit Neustem engagiert. Wir pflanzen einen Baum für jede Teilnehmerin unserer Angebote (Meditationskurse, Retreats, Waldbaden, Workshops). Wir möchten damit einen kleinen Beitrag leisten zur Erhaltung unseres Ökosystems, inklusive der von uns geliebten Wälder.
Reto Weishaupt ist Meditationslehrer und Achtsamkeitscoach bei MINDFULMIND. Meditation ist für ihn ein starkes Instrument, das er zur Geistes- und Herzensschulung gerne weiter gibt – undogmatisch, säkular und frei von Ideologie. „It’s all about cultivating mind and heart.“
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Hallo Sandra
Danke fürs Teilen. Manchmal können schwere Ereignisse und Entwicklungen auf der Welt uns überwältigen und zu Ratlosigkeit führen. Vielleicht findest du einen Weg, wenn du dich diesen Gefühlen zuwendest. Versuchen achtsam damit sein, die Ohnmacht und die Einsamkeit anerkennen, freundlich erforschen und dich nicht ganz machen (Nicht-Identifikation). Wir können als einzelne Person heilvolle Geistes- und Herzensqualitäten kultivieren zum Wohle von uns selbst und anderen. Ein schöner Input dazu findest du online, wenn du suchst nach “Die vier Brahmaviharas – Fred Von Allmen“. Mögen sich Zuversicht und Selbstwirksamkeit in deinem Leben entfalten.
LG Reto
Hallo. Genau so möchte ich persönlich allem im Leben begegnen. Achtsam. Respektvoll.
Aber was kann ich gegen das Gefühl der Ohnmacht Tun, in einer machtorientierten und zerstörerischen Welt achtsam zu leben und als einzelne Person Nichts gegen all die negativen Entwicklungen tun zu können.
All das destruktive existiert weiterhin und die destruktiven Kräfte bleiben weiterhin an der Macht.
Hier macht mich meine Achtsamkeit wirklich fertig – und Menschen, die eher mit Scheuklappen durch die Welt gehen, können mich und meine Sorgen gar nicht verstehen… Dann kommt zur Ohnmacht auch noch Einsamkeit – dabei sollte Achtsamkeit ja eigentlich empowern…
Ich bin irgendwie ratlos